Mit Eva Willig haben die Armen ihre streitbare Anwältin verloren
Im Alter von 74 Jahren ist Eva Willig von uns gegangen. Über Neukölln und Berlin hinaus bleibt sie als streitbare Frau für soziale Gerechtigkeit in herzhafter Erinnerung.
Herzhaft kommt nicht allen leicht über die Lippen. Eva Willig war nicht nur streitbar, sie konnte an den Nerven sägen in ihrer fordernden Pointiertheit, und mit diesem Sägen an den Nerven der Politik blieb sie denen, die Verantwortung tragen für das, was unverändert ist, stets ein Dorn im Auge. Jenen wollte Eva Willig nicht gefallen, sie blieb eckig und kantig. Das traf auch diejenigen politisch Engagierten, die aus ihrer Sicht nicht konsequent genug waren auf dem Weg zu sozialer Gerechtigkeit.
Der sehr gängige Begriff der »Aktivistin« trifft Eva Willig nur unzureichend. Sie lebte ihre Aktivität, und das sehr konsequent. Sie brachte Aktionsräume zusammen, die scheinbar verschieden sind. Und in ihrem Engagement zeigte sie ihre Herzlichkeit, die sie denen schenkte, für die sie sich als politische Anwältin einsetzte, den Armen. Der Kampf gegen soziale Ausgrenzung, für eine sichere Grundversorgung, für bezahlbare Mieten und das Ziel, die Stadt als Lebensraum für alle zurückzuholen, erfolgte praktisch.
Ihr 2018 erschienenes in grün gebundenes Buch »Heilsames Neukölln« zeigt ihren detaillierten und wissenschaftlichen Blick auf wichtige Teile der Stadtnatur. Ihre lange erschienene Kolumne über Kräuter in der Kiez und Kneipe erweiterte sie darin zu einem kompletten Werk. Es gibt so gut wie alles an Kräutern in der Stadt, ganz kostenlos zum Ernten, wenn Pflanzen und Büsche Platz haben. Sie war eine Wegbereiterin des »Guerilla Gardenings«, durch ihre Artikel und ihre Führungen.
Doch vor allem hat sie für bezahlbaren Wohnraum und eine gerechte Sicherung der menschlichen Existenz gekämpft, die weder durch Hartz IV, Bürgergeld und Mindestlohn erreicht wird.
Sie hat einen hohen Preis bezahlt, um so ein politisches und soziales Engagement leben zu können. Zweimal sagte sie zu einer möglichen Verbeamtung nein. Sie lebte deswegen ab einem gewissen Punkt von Transferleistungen. In dem Rahmen nahm sie als führende Kraft an sogenannten »Maßnahmen« der Jobverwaltung teil und hatte dort Verantwortung für Menschen, die durch »Maßnahmen« auf den Arbeitsmarkt geführt werden sollten, ohne jede realistische Chance.
Eva Willig war ausgebildete Sozialpädagogin, die schon bei ihrer helfenden Arbeit Ende der Siebziger Jahre im Jüdischen Krankenhaus feststellte, dass Verbeamtung nicht in Frage kam. Zu Hartz IV »Maßnahmen« stellte sie fest: »Ich lasse mich nicht mehr vermaßnahmen.«
Mindestens genügte ihr nicht, es sollte Alles sein.
th